Stadtstrand – ein Ort zum Auftanken

Angekommen für ein Wochenende. Der süßliche Geruch der Stadt steigt mir in die Nase beim Aussteigen aus dem Bus am Plaza Catalunya am späten Abend. Der Geruch ist eine Mischung aus Abgasen des Stadtverkehrs und dem Duft der mediterranen Vegetation, Gestank der muffeliger Keller, Kaffee- und Essensgerüche aus Cafés und Restaurants durchdrungen von die Würze auf offener Straße gerauchter Joints.

Diese Stadt lebt auf der Straße. Sie ist ein buntes Taumeln: Taxifahrer warten auf ihre Gäste, Polizisten geben Anweisungen an Touristen, Passanten berühren sich in der Enge fast mit den Ellbogen. Auf der Straße wird gegessen, gehandelt, laut diskutiert, gelacht oder geschimpft. Hier verbringt man viele Stunden am Tag. (Im Vergleich, geht man in Norddeutschland, wo ich gerade lebe, beim chronisch schlechten Wetter nur notgedrungen auf die Straße und kämpft seinen Weg durch den Regen und stürmischen Windböen.)

Barrio Gotico

Barcelona ist sehr dicht und intensiv, wie ein Cortado. Gequetscht zwischen den Bergen auf der einen Seite und dem Meer auf der anderen hat sie keinen Patz, um in die Breite wachsen zu können, also wächst sie in die Dichte und erstickt fast schon an eigener Intensität. Der Blick in die Nachbarsfenster ist so direkt und unverschont, dass ein Gefühl entsteht als lebe man in einer Wohngemeinschaft mit allen Bewohnern der Stadt. Es ist ein Dorf und doch ein Jungle aus Stein, Stahl und Glas, wenn auch recht filigraner und romantisch wirkender Jungle durch die vielen Türmchen und verschnörkelte Architektur.

Mit dieser Stadt verbindet mich mit Sicherheit die zentrale Erfahrung meines Lebens – meine Geburt als Mutter, daher rüttelt der Besuch dieser Stadt viele Gefühle wach und rührt mich tief. Hier trug ich zum ersten Mal stolz meinen Babybauch, durchlebte die erste Geburt, machte erste unsichere Schritte des Mutterseins; besuchte die ersten Spielplätze, die ersten Kinderärzte, Krabbelgruppen und Müttertreffs. Es gibt fast keine Straße in der Stadt, die ich mit dem Kinderwagen nicht durchlaufen bin. Die Straßennamen klingen bekannt und nostalgisch. Und doch ist die Zeit weit weg, und ich bin jetzt viele Erfahrungen weiter.

Barcelona hat ein großes Herz. Bei meinem ersten Besuch der Krabbelgruppe im Hospital de Sant Pau, wo meine Tochter geboren war, schaute mich die leitende Hebamme Nuria liebevoll in die Augen und fragte: „Na, wie geht es dir?“ Sie war tatsächlich die erste Person, die mich mit meiner damals 6 Wochen alten Tochter nach meiner Befindlichkeit fragte. Überwältigt von der Tatsache, dass sich jemand für mich interessiert, fing ich an zu weinen und prompt meldeten sich viele Mütter und boten mir ihre Hilfe an. Es war so rührend und stärkend, dass die Welt für mich von da an völlig anders aussah.

Ich vor dem Hospital de Sant Pau im März 2007

Diese fremde unbekannte Stadt war für mich mein Dorf zum Kindergroßziehen. Die geselligen Omas im Bus lobten laut wie wohlernährt mein Baby war, sowie meine „Engelsgeduld“ im Umgang mir ihr. Unbekannte Frauen am Strand wiesen mich unaufdringlich und liebevoll auf die Gefahren des Sonne hin und boten die Sonnencreme an, Eltern auf den Spielplätzen teilten großzügig ihr Spielzeug mit meiner Tochter. Jeder Mensch, ob Verkäufer, Apotheker, Kinderarztgehilfin, einfache Passanten schienen ein offenes Auge und ein liebes Wort für mich und mein Baby übrig zu haben. Ich fühlte mich umgeben von Liebe, Aufmerksamkeit und menschlicher Wärme. Die Sonne und das Meer berauschten mich täglich und schenkten Energie.

Heute als dreifache Mama mit größerem Erfahrungsschatz besuche ich die Wiege meiner Mutterseele mit Nostalgie und Freude, dass ich den Draht zu ihr nicht verloren habe. Hier leben immer noch gute Freunde und meine Lehrerin Laura Gutman aus Argentinien führt regelmäßig Weiterbildungen in Familientherapie durch, die ich gerne besuche.

Am letzten Abend vor der Abreise ging es zum Abschied noch zu einer Milonga, um mich von den wehmütigen Tangotönen wegtragen zu lassen. Tango ist eine neue Liebe, die ich nun aus Deutschland mitgebracht habe. Das Leben geht weiter und wir auch.

Ich habe mich bei dieser Stadt nie wirklich bedankt, nun möchte ich es tun. Danke, liebe Barcelona, für deinen Charme und dein Charisma, dein großes Herz und die süße romantische Note. Danke, dass du trotz des Platzmangels eine Zuflucht für viele gestrandeten Seelen bietest. Danke, dass du mich so liebevoll aufgenommen hast und dass du immer noch ein Teil von mir bist. Gracias guapa, te quiero mucho.