Mehr Männer bei Psychologen.

Dieser Kurzbericht erschien in unserer lokalen Zeitung Flensburg Avis und bestätigte prompt auch meine persönliche Beobachtung: Es rufen mehr Männer an und suchen psychologische Hilfe als früher. Es ist ein sehr gutes Zeichen, denn Männer leiden nicht weniger, haben aber oft höhere Hemmschwelle, seelische Probleme anzusprechen. In Statistiken zu Suiziden, Spielsucht, Alkoholismus, Obdachlosigkeit oder Burnout sind Männer überrepräsentiert. Das ist die traurige Schattenseite der Leistungsgesellschaft, in der Männer an der Leistungsfront glänzen müssen, massiv unter Druck geraten und keine Schwäche zeigen dürfen.

Seelische Themen zu behandeln ist aber auch für Männer heute wichtiger denn je. Ich freue mich über diese Trendwende und biete meine Sprechstunden selbstverständlich auch männlichen Klienten an. Nur wer mit sich im Reinen ist, kann in heutigen rasant wandelnden und unberechenbaren Zeiten bestehen. Nichts hat man sicher, außer sich selbst.

 

Mehr Männer bei Psychologen

Neue Praxis wird bald eröffnet.

Es fällt schwer, in turbulenten Zeiten wie heute, im dauerhaften Krisenmodus über etwas „Normales“ zu schreiben. Wir sind so von Katastrophen absorbiert, dass die Alltagsbewältigung und das Leben im Hier und Jetzt auf der Sparflamme läuft, oder? 

Dennoch wollte ich heute darüber berichten, dass ich dabei bin, neue Praxisräume fertigzustellen. Eine kleine Altbauwohnung wird gerade renoviert und verwandelt sich in einen Ort, wo man sich „life und direkt“ begegnen kann; wo man sich umarmen, zusammen weinen oder tanzen kann, einen Tee trinken und die gleiche Luft atmen. All das ging in den Jahren der Pandemie verloren und will wiederentdeckt werden. Viel zu lange Zeit haben wir vor unseren Bildschirmen verbracht. Auch Seminare und Fortbildungen sollen hier stattfinden können, und vielleicht sogar so mancher Tangotanzabend, mal sehen.

Die Renovierung ist zum längeren Projekt geworden, als ich ursprünglich gedacht hatte. Aber ich nehme mir gerne Zeit und suche Inspiration, damit es wirklich ein heilender Raum wird, gefüllt mit liebevoller Zuwendung, die schon beim Einrichten anfängt. Ich war z. B. im naheliegenden Dänemark, habe Flohmärkte und Genbrug (Secondhand Möbel) Boutiquen durchforstet auf der Suche nach besonderen Stücken mit Geschichte und konnte so ein Paar gebrauchte Designklassiker ergattern, schöne alte Lampen für die heimelige Atmosphäre. Ein besonderes Stück ist auch dabei – die Holzskulptur einer Nixe, die die Hüterin der guten Geister werden soll. 

Es entsteht und entwickelt sich langsam. Nicht selten werde ich gefragt, ob ich denn nicht lägst fertig sein will, Raufasertapete druff und fertig? Nein, das möchte ich nicht. Ich entdecke dabei auch meine Liebe zum Gestalten und Einrichten, ganz nach meinem Geschmack und Wohlfühlen. Die Geschichte des Raumes und des ganzen Hauses soll dabei mit einfließen und für den Tiefgang sorgen. 

Es bleibt spannend. Ich hoffe und plane im Herbst meine Türen zu öffnen, aber wer weiß, wer weiß, was noch alles dazwischen kommen könnte. Ich halte euch auf dem Laufenden.

Welche Farben tun der Seele gut?

Der Krieg und die inneren Bilder.

Zugegeben, ich habe eine Weile gebraucht, um mich von der Schockstarre der letzten Wochen zu erholen, bevor ich passende Worte finden konnte, um etwas zum aktuellen Geschehen in der Ukraine zu schreiben. Trotz aller Warnungen habe ich bis zum Schluss nicht daran geglaubt, dass es in meiner ehemaligen Heimat zu einem Krieg kommen könnte. Nun ist es eine neue Realität geworden, auf die ich bis heute nicht klarkomme. Es sind innere Bilder zerstört worden, mit denen ich groß geworden bin.

Ich bin während des Kalten Krieges in der Sowjetunion aufgewachsen. Zum Land gehörten neben Russland noch 14 weitere Republiken, darunter auch die Ukraine. Bei großen Festen präsentierten sich die Vertreter der 15 Republiken gewöhnlich mit ihrer Nationalkleidung, Musik und Tänzen. Der große Tenor war immer: „Wir sind alle Freunde, so unterschiedlich wir auch sein mögen“. Auch nach dem Zerfall der Sowjetunion sind wirtschaftliche und kulturelle Verbindungen nicht über Nacht verschwunden, sondern wurden auf freiwilliger Basis zwischen unabhängigen Staaten neu beschlossen. Und jetzt, 30 Jahre später, befinden sich Teile meiner ehemaligen Heimat im Krieg! 

Dieses letzte Wort fällt mir tatsächlich sehr schwer auszusprechen, denn noch ein weiteres Bild ist schwer in die Mitleidenschaft gezogen worden, nämlich das Selbstbild der Russen als Befreier, nicht Eroberer. Meine Mutter ist ein Jahr nach dem Ende des zweiten Weltkrieges auf die Welt gekommen. Ihre und meine Generation sind mit dem Bild groß geworden, dass die russische Armee ein Friedensbringer ist, der vom Bösen befreit und die Unschuldigen in Schutz nimmt. In Berliner Treptowpark steht ein Denkmal dem russischen Soldaten mit einem kleinen Mädchen auf dem Arm. So sehen sich die Russen gerne – herzlich, mitfühlend und integer. Die heutige Situation bringt dieses Bild mächtig ins Schwanken. Daher geht das Wort Krieg bei den Russen nur schwer über die Lippen. Die Obrigkeiten nennen es schlicht militärische Sonderoperationen und versuchen das alte Befreier-Bild neu zu bedienen, indem sie “die Entnazifizierung der Ukraine“ als Grund für den Einmarsch propagiert. Doch so ganz will die Kampagne nicht glücken. Die Stimmung in Russland ist bedrückt, es ist still, nur vereinzelt traut man sich zu protestieren.

Es ist sicherlich nicht das erste dunkle Kapitel in der Beziehung zwischen den beiden Ländern. Ich denke da an die Hungersnot in den 30gern Jahren, der vom Stalin künstlich herbeigeführt wurde, um das Volk zu brechen. Die beiden Mentalitäten sind auch sehr unterschiedlich. Die Ukraine war durch das milde Klima und fruchtbare Schwarzerde schon immer mit relativ höherem Wohlstand verwöhnt. Die Ukrainer sind, aus der Sicht der Russen, auf Wohlstand und Sicherheit bedacht. Die Russen sind in ihren unendlichen Weiten und strengem kontinentalen Klima nicht so geschickt, was die Selbstversorgung betrifft. Man lebt desolat, gibt dem Bedürftigen sprichwörtlich „das letzte Hemd weg“ und bleibt selbst mit nichts.

Wie so oft bei politischen Konflikten sind die Leidtragenden nicht die Anstifter, sondern die unschuldigen Menschen. Sie sind die Geisel der politischen Spielchen der Mächtigen. Dennoch sollten wir angesichts des Mitgefühls mit der leidenden zivilen Bevölkerung nicht unkritisch werden und das große Ganze des Geschehens nicht aus dem Auge verlieren. Wir sollten vielmehr für den Frieden sein! Im Krieg gilt die Logik: töte oder sterbe. Es gibt keine Kompromisse, keinen Mittelweg, keinen Platz für den Wunsch des Anderen. 

Dieser Logik befolgen wir oft unbewusst auch im Alltag, in dem wir glauben, wer nicht unserer Meinung ist, ist automatisch gegen uns. Aber das ist falsch und ist in Wirklichkeit ein infantiler Wunsch nach Unterstützung und Zugehörigkeit, wenn wir uns im inneren unsicher und alleine fühlen. Es ist an der Zeit zu reifen, dann stellt die (Denk)Freiheit des anderen nicht automatisch eine Bedrohung für uns dar.

Ein Neuanfang

Auch wenn politische Themen derzeit omnipräsent sind, möchte ich heute nicht über Politik schreiben, sondern darüber, wie es ist, etwas Neues anzufangen. Ein Neuanfang kann im Kleinen wie im Großen geschehen – eine neue Frisur, neue Bekanntschaft, ein neues Hobby oder eine neue Gesellschaftsform?

Ich habe vor Tagen meinen größeren Töchtern ihre Haare um ca. die Hälfte der Länge gekürzt und schon fühlen sie sich wie neugeboren, verändert und plötzlich so erwachsen. Sie verhalten sich anders, reden und bewegen sich anders. Ich erinnere mich: Eine neue Frisur war in der Kindheit ein großes Ding. Man fühlte sich wie gehäutet und völlig erneuert.

Auch ich habe einen Neubeginn gewagt und lerne seit Kurzem Trompete spielen. Es ist zauberhaft, ein neues Instrument zu entdecken. Ich spiele Klavier, seitdem ich acht bin und jetzt wage ich mich an ein neues Instrument heran, das ganz anders funktioniert. Klavier ist recht analog: Eine Taste – ein Ton, große Amplitude, es geht in die Weite, an der Tonqualität kann man nicht viel drehen, außer es lauter oder leiser zu spielen. Man fühlt sich mit Musik ein wenig auf Distanz. 

Die Trompete beansprucht den ganzen Körper und geht an das Innigste – deinen Atem, deine Mitte, deine Stimme und dein Kommunikationsorgan. Trompete ist subtiler und mit mehr Seele behaftet als das mechanische Klavier. Ihre Bauart ist recht einfach, fast schon primitiv. Die russische Bezeichnung entspricht dem ganz gut: Auf russisch heißt Trompete nämlich einfach „das Rohr“. Diese Einfachheit fasziniert mich und lässt Tieferes dahinter vermuten.

Auch im Großen können wir Neuanfänge erleben, die oft nach Krisen stattfinden. Ich habe bereits ein Systemwechsel erlebt, als die Sowjetunion zusammenbrach und die ganze Gesellschaft plötzlich vor nichts stand und sich langsam in ein neues System finden musste, nicht ohne Entbehrungen und Leidensdruck. Heute stehen wir vielleicht auch vor tiefgreifenden Veränderungen in der Gesellschaft, deren Ausmaß wir noch nicht einschätzen können. Krisen entstehen, wenn es nicht mehr so weiter gehen kann wie bisher. Dann ist ein Neubeginn der einzige Weg nach vorn.

In meinem beruflichen Alltag ist die Geburt der Kinder der häufigste Neuanfang, mit dem ich konfrontiert werde. Für viele geht es dann auch nicht mehr so weiter wie bisher, dann ist es eine Riesenchance, sich neu zu orientieren, mehr zu sich zu finden, sich mit seinem Wesen zu verbinden und einen Neuanfang zu wagen.

In jedem Anfang ist die ganze Entwicklung bereits enthalten, wie ein Baum im Samenkorn bereit im Keime enthalten ist. Es kommt darauf an, ob wir günstige Bedingungen schaffen können, damit aus dem Samenkorn tatsächlich ein Baum wird. Unser Geist stellt die Weichen und bewirkt, dass aus kleinem Neuanfang eine große schöne Sache werden kann. Nur Mut!

Der Ungehorsam und die Bibel.

In gestriger ARD-Talkshow von Anne Will stellte der NRW-Ministerpräsident Hendrik Würst seine Begründung für die allgemeine Impfpflicht folgendermaßen dar: 

„Der Sinn und Zweck (der Impfpflicht) ist, dass wir den Menschen signalisieren können, die alles getan haben in den letzten zwei Jahren, die sich haben impfen lassen, die vorsichtig waren, die sich testen lassen, die Masken tragen: Jetzt sind die anderen dran, die sich bisher geweigert haben.“

Diese Begründung ist alles andere als medizinisch, sondern vielmehr moralischer Natur. Man spürt in ihr das Verlangen nach Gerechtigkeit, nach dem Motto: Wenn wir schon so viele Opfer erbracht haben, dann sollten es die anderen gefälligst ebenfalls tun. Sie erinnerte mich an die biblische Geschichte vom verlorenen Sohn: 

Der jüngere Sohn verlangt von seinem Vater sein Erbe. Sobald er es erhalten hat, zieht er fort und verprasst das Geld im Ausland. Zum Bettler herabgesunken, arbeitet er als Schweinehirte und hungert dabei so sehr, dass er sich reumütig nach dem Haus seines Vaters zurücksehnt und sich vornimmt, dem Vater seine Sünde zu bekennen und ihn um eine Stelle als geringer Tagelöhner zu bitten. Als er dann tatsächlich nach Hause zurückkehrt, ist der Vater so froh über die Rückkehr seines Sohnes, dass er ihn kaum ausreden lässt und sofort wieder bei sich aufnimmt. Er kleidet ihn festlich ein und veranstaltet ein großes Fest.

Als sich der ältere Sohn, der dem Vater die ganze Zeit über treu gedient hat, über das Verhalten des Vaters beklagt, entgegnet dieser: „Mein Kind, du bist immer bei mir, und alles, was mein ist, ist auch dein. Aber jetzt müssen wir uns doch freuen und ein Fest feiern; denn dein Bruder war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden“ (Lk 15,31).

Ich frage mich, ob der ältere Sohn mit der Erklärung des Vaters wirklich zufrieden geblieben ist? Er scheint bei der Geschichte sowieso eher am Rand eine Nebenrolle zu spielen, wie so oft die angepasste Menschen generell im Leben tun.

Es geschieht in vielen Familien, dass Geschwister jeder auf seine Art und Weise um die Liebe der Eltern ringen – die einen mit Gehorsamkeit, Treue und Loyalität, die anderen – mit Verrücktheit, Ausbrechen oder Durchdrehen. Die Letzteren bekommen oft vordergründig mehr Aufmerksamkeit, da sie mehr Lärm generieren. Die „Braven“ kommen scheinbar selbst bestens zurecht. Doch die Braven verzichten oft auf etwas sehr Wertvolles – auf ihre innere Stimme und Bestimmung, sie opfern sich selbst und ihre wahre Natur. Das ist das größte Opfer, das man als Mensch überhaupt erbringen kann. Und das tun sie aus Liebe zu ihren Eltern und erwarten diese Liebe auch im Gegenzug zu bekommen. Doch die Rechnung geht nicht auf, sie bleiben unsichtbar im Hintergrund. Es ist für sie unerträglich zu sehen, dass diejenigen, die sich scheinbar nicht anstrengen, die elterliche Liebe leichter bekommen und hinzu noch sich selbst treu bleiben dürften.

Der ältere Sohn ist in Wirklichkeit derjenige, der sich verloren hat, obwohl oder weil er beim Vater geblieben ist. Der ältere Sohn ist in Wirklichkeit der verlorene Sohn. Und dieser ältere – der brave, angepasste und sich selbst vergessene Sohn – sprach gestern durch den Mund von NRW MP Hendrik Würst und verlang Gerechtigkeit. 

Wie kann man ihm helfen? Sicher nicht, indem man die Ungehorsamen peinigt. Das wäre nur eine schale Genugtuung, Die Aufgabe bleibt bei ihm selbst, sein wahres Ich zu suchen und wieder zum Leben zu erwecken und nicht durch die Angepasstheit die Auseinandersetzung mit sich selbst zu meiden und stattdessen die Lösung im Außen zu suchen.

Rembrandt. Die Rückkehr des verlorenen Sohnes.