Neue Praxis wird bald eröffnet.
Es fällt schwer, in turbulenten Zeiten wie heute, im dauerhaften Krisenmodus über etwas „Normales“ zu schreiben. Wir sind so von Katastrophen absorbiert, dass die Alltagsbewältigung und das Leben im Hier und Jetzt auf der Sparflamme läuft, oder?
Dennoch wollte ich heute darüber berichten, dass ich dabei bin, neue Praxisräume fertigzustellen. Eine kleine Altbauwohnung wird gerade renoviert und verwandelt sich in einen Ort, wo man sich „life und direkt“ begegnen kann; wo man sich umarmen, zusammen weinen oder tanzen kann, einen Tee trinken und die gleiche Luft atmen. All das ging in den Jahren der Pandemie verloren und will wiederentdeckt werden. Viel zu lange Zeit haben wir vor unseren Bildschirmen verbracht. Auch Seminare und Fortbildungen sollen hier stattfinden können, und vielleicht sogar so mancher Tangotanzabend, mal sehen.
Die Renovierung ist zum längeren Projekt geworden, als ich ursprünglich gedacht hatte. Aber ich nehme mir gerne Zeit und suche Inspiration, damit es wirklich ein heilender Raum wird, gefüllt mit liebevoller Zuwendung, die schon beim Einrichten anfängt. Ich war z. B. im naheliegenden Dänemark, habe Flohmärkte und Genbrug (Secondhand Möbel) Boutiquen durchforstet auf der Suche nach besonderen Stücken mit Geschichte und konnte so ein Paar gebrauchte Designklassiker ergattern, schöne alte Lampen für die heimelige Atmosphäre. Ein besonderes Stück ist auch dabei – die Holzskulptur einer Nixe, die die Hüterin der guten Geister werden soll.
Es entsteht und entwickelt sich langsam. Nicht selten werde ich gefragt, ob ich denn nicht lägst fertig sein will, Raufasertapete druff und fertig? Nein, das möchte ich nicht. Ich entdecke dabei auch meine Liebe zum Gestalten und Einrichten, ganz nach meinem Geschmack und Wohlfühlen. Die Geschichte des Raumes und des ganzen Hauses soll dabei mit einfließen und für den Tiefgang sorgen.
Es bleibt spannend. Ich hoffe und plane im Herbst meine Türen zu öffnen, aber wer weiß, wer weiß, was noch alles dazwischen kommen könnte. Ich halte euch auf dem Laufenden.
Der Krieg und die inneren Bilder.
Zugegeben, ich habe eine Weile gebraucht, um mich von der Schockstarre der letzten Wochen zu erholen, bevor ich passende Worte finden konnte, um etwas zum aktuellen Geschehen in der Ukraine zu schreiben. Trotz aller Warnungen habe ich bis zum Schluss nicht daran geglaubt, dass es in meiner ehemaligen Heimat zu einem Krieg kommen könnte. Nun ist es eine neue Realität geworden, auf die ich bis heute nicht klarkomme. Es sind innere Bilder zerstört worden, mit denen ich groß geworden bin.
Ich bin während des Kalten Krieges in der Sowjetunion aufgewachsen. Zum Land gehörten neben Russland noch 14 weitere Republiken, darunter auch die Ukraine. Bei großen Festen präsentierten sich die Vertreter der 15 Republiken gewöhnlich mit ihrer Nationalkleidung, Musik und Tänzen. Der große Tenor war immer: „Wir sind alle Freunde, so unterschiedlich wir auch sein mögen“. Auch nach dem Zerfall der Sowjetunion sind wirtschaftliche und kulturelle Verbindungen nicht über Nacht verschwunden, sondern wurden auf freiwilliger Basis zwischen unabhängigen Staaten neu beschlossen. Und jetzt, 30 Jahre später, befinden sich Teile meiner ehemaligen Heimat im Krieg!
Dieses letzte Wort fällt mir tatsächlich sehr schwer auszusprechen, denn noch ein weiteres Bild ist schwer in die Mitleidenschaft gezogen worden, nämlich das Selbstbild der Russen als Befreier, nicht Eroberer. Meine Mutter ist ein Jahr nach dem Ende des zweiten Weltkrieges auf die Welt gekommen. Ihre und meine Generation sind mit dem Bild groß geworden, dass die russische Armee ein Friedensbringer ist, der vom Bösen befreit und die Unschuldigen in Schutz nimmt. In Berliner Treptowpark steht ein Denkmal dem russischen Soldaten mit einem kleinen Mädchen auf dem Arm. So sehen sich die Russen gerne – herzlich, mitfühlend und integer. Die heutige Situation bringt dieses Bild mächtig ins Schwanken. Daher geht das Wort Krieg bei den Russen nur schwer über die Lippen. Die Obrigkeiten nennen es schlicht militärische Sonderoperationen und versuchen das alte Befreier-Bild neu zu bedienen, indem sie “die Entnazifizierung der Ukraine“ als Grund für den Einmarsch propagiert. Doch so ganz will die Kampagne nicht glücken. Die Stimmung in Russland ist bedrückt, es ist still, nur vereinzelt traut man sich zu protestieren.
Es ist sicherlich nicht das erste dunkle Kapitel in der Beziehung zwischen den beiden Ländern. Ich denke da an die Hungersnot in den 30gern Jahren, der vom Stalin künstlich herbeigeführt wurde, um das Volk zu brechen. Die beiden Mentalitäten sind auch sehr unterschiedlich. Die Ukraine war durch das milde Klima und fruchtbare Schwarzerde schon immer mit relativ höherem Wohlstand verwöhnt. Die Ukrainer sind, aus der Sicht der Russen, auf Wohlstand und Sicherheit bedacht. Die Russen sind in ihren unendlichen Weiten und strengem kontinentalen Klima nicht so geschickt, was die Selbstversorgung betrifft. Man lebt desolat, gibt dem Bedürftigen sprichwörtlich „das letzte Hemd weg“ und bleibt selbst mit nichts.
Wie so oft bei politischen Konflikten sind die Leidtragenden nicht die Anstifter, sondern die unschuldigen Menschen. Sie sind die Geisel der politischen Spielchen der Mächtigen. Dennoch sollten wir angesichts des Mitgefühls mit der leidenden zivilen Bevölkerung nicht unkritisch werden und das große Ganze des Geschehens nicht aus dem Auge verlieren. Wir sollten vielmehr für den Frieden sein! Im Krieg gilt die Logik: töte oder sterbe. Es gibt keine Kompromisse, keinen Mittelweg, keinen Platz für den Wunsch des Anderen.
Dieser Logik befolgen wir oft unbewusst auch im Alltag, in dem wir glauben, wer nicht unserer Meinung ist, ist automatisch gegen uns. Aber das ist falsch und ist in Wirklichkeit ein infantiler Wunsch nach Unterstützung und Zugehörigkeit, wenn wir uns im inneren unsicher und alleine fühlen. Es ist an der Zeit zu reifen, dann stellt die (Denk)Freiheit des anderen nicht automatisch eine Bedrohung für uns dar.
Ein Neuanfang
Auch wenn politische Themen derzeit omnipräsent sind, möchte ich heute nicht über Politik schreiben, sondern darüber, wie es ist, etwas Neues anzufangen. Ein Neuanfang kann im Kleinen wie im Großen geschehen – eine neue Frisur, neue Bekanntschaft, ein neues Hobby oder eine neue Gesellschaftsform?
Ich habe vor Tagen meinen größeren Töchtern ihre Haare um ca. die Hälfte der Länge gekürzt und schon fühlen sie sich wie neugeboren, verändert und plötzlich so erwachsen. Sie verhalten sich anders, reden und bewegen sich anders. Ich erinnere mich: Eine neue Frisur war in der Kindheit ein großes Ding. Man fühlte sich wie gehäutet und völlig erneuert.
Auch ich habe einen Neubeginn gewagt und lerne seit Kurzem Trompete spielen. Es ist zauberhaft, ein neues Instrument zu entdecken. Ich spiele Klavier, seitdem ich acht bin und jetzt wage ich mich an ein neues Instrument heran, das ganz anders funktioniert. Klavier ist recht analog: Eine Taste – ein Ton, große Amplitude, es geht in die Weite, an der Tonqualität kann man nicht viel drehen, außer es lauter oder leiser zu spielen. Man fühlt sich mit Musik ein wenig auf Distanz.
Die Trompete beansprucht den ganzen Körper und geht an das Innigste – deinen Atem, deine Mitte, deine Stimme und dein Kommunikationsorgan. Trompete ist subtiler und mit mehr Seele behaftet als das mechanische Klavier. Ihre Bauart ist recht einfach, fast schon primitiv. Die russische Bezeichnung entspricht dem ganz gut: Auf russisch heißt Trompete nämlich einfach „das Rohr“. Diese Einfachheit fasziniert mich und lässt Tieferes dahinter vermuten.
Auch im Großen können wir Neuanfänge erleben, die oft nach Krisen stattfinden. Ich habe bereits ein Systemwechsel erlebt, als die Sowjetunion zusammenbrach und die ganze Gesellschaft plötzlich vor nichts stand und sich langsam in ein neues System finden musste, nicht ohne Entbehrungen und Leidensdruck. Heute stehen wir vielleicht auch vor tiefgreifenden Veränderungen in der Gesellschaft, deren Ausmaß wir noch nicht einschätzen können. Krisen entstehen, wenn es nicht mehr so weiter gehen kann wie bisher. Dann ist ein Neubeginn der einzige Weg nach vorn.
In meinem beruflichen Alltag ist die Geburt der Kinder der häufigste Neuanfang, mit dem ich konfrontiert werde. Für viele geht es dann auch nicht mehr so weiter wie bisher, dann ist es eine Riesenchance, sich neu zu orientieren, mehr zu sich zu finden, sich mit seinem Wesen zu verbinden und einen Neuanfang zu wagen.
In jedem Anfang ist die ganze Entwicklung bereits enthalten, wie ein Baum im Samenkorn bereit im Keime enthalten ist. Es kommt darauf an, ob wir günstige Bedingungen schaffen können, damit aus dem Samenkorn tatsächlich ein Baum wird. Unser Geist stellt die Weichen und bewirkt, dass aus kleinem Neuanfang eine große schöne Sache werden kann. Nur Mut!
Der Ungehorsam und die Bibel.
In gestriger ARD-Talkshow von Anne Will stellte der NRW-Ministerpräsident Hendrik Würst seine Begründung für die allgemeine Impfpflicht folgendermaßen dar:
„Der Sinn und Zweck (der Impfpflicht) ist, dass wir den Menschen signalisieren können, die alles getan haben in den letzten zwei Jahren, die sich haben impfen lassen, die vorsichtig waren, die sich testen lassen, die Masken tragen: Jetzt sind die anderen dran, die sich bisher geweigert haben.“
Diese Begründung ist alles andere als medizinisch, sondern vielmehr moralischer Natur. Man spürt in ihr das Verlangen nach Gerechtigkeit, nach dem Motto: Wenn wir schon so viele Opfer erbracht haben, dann sollten es die anderen gefälligst ebenfalls tun. Sie erinnerte mich an die biblische Geschichte vom verlorenen Sohn:
Der jüngere Sohn verlangt von seinem Vater sein Erbe. Sobald er es erhalten hat, zieht er fort und verprasst das Geld im Ausland. Zum Bettler herabgesunken, arbeitet er als Schweinehirte und hungert dabei so sehr, dass er sich reumütig nach dem Haus seines Vaters zurücksehnt und sich vornimmt, dem Vater seine Sünde zu bekennen und ihn um eine Stelle als geringer Tagelöhner zu bitten. Als er dann tatsächlich nach Hause zurückkehrt, ist der Vater so froh über die Rückkehr seines Sohnes, dass er ihn kaum ausreden lässt und sofort wieder bei sich aufnimmt. Er kleidet ihn festlich ein und veranstaltet ein großes Fest.
Als sich der ältere Sohn, der dem Vater die ganze Zeit über treu gedient hat, über das Verhalten des Vaters beklagt, entgegnet dieser: „Mein Kind, du bist immer bei mir, und alles, was mein ist, ist auch dein. Aber jetzt müssen wir uns doch freuen und ein Fest feiern; denn dein Bruder war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden“ (Lk 15,31).
Ich frage mich, ob der ältere Sohn mit der Erklärung des Vaters wirklich zufrieden geblieben ist? Er scheint bei der Geschichte sowieso eher am Rand eine Nebenrolle zu spielen, wie so oft die angepasste Menschen generell im Leben tun.
Es geschieht in vielen Familien, dass Geschwister jeder auf seine Art und Weise um die Liebe der Eltern ringen – die einen mit Gehorsamkeit, Treue und Loyalität, die anderen – mit Verrücktheit, Ausbrechen oder Durchdrehen. Die Letzteren bekommen oft vordergründig mehr Aufmerksamkeit, da sie mehr Lärm generieren. Die „Braven“ kommen scheinbar selbst bestens zurecht. Doch die Braven verzichten oft auf etwas sehr Wertvolles – auf ihre innere Stimme und Bestimmung, sie opfern sich selbst und ihre wahre Natur. Das ist das größte Opfer, das man als Mensch überhaupt erbringen kann. Und das tun sie aus Liebe zu ihren Eltern und erwarten diese Liebe auch im Gegenzug zu bekommen. Doch die Rechnung geht nicht auf, sie bleiben unsichtbar im Hintergrund. Es ist für sie unerträglich zu sehen, dass diejenigen, die sich scheinbar nicht anstrengen, die elterliche Liebe leichter bekommen und hinzu noch sich selbst treu bleiben dürften.
Der ältere Sohn ist in Wirklichkeit derjenige, der sich verloren hat, obwohl oder weil er beim Vater geblieben ist. Der ältere Sohn ist in Wirklichkeit der verlorene Sohn. Und dieser ältere – der brave, angepasste und sich selbst vergessene Sohn – sprach gestern durch den Mund von NRW MP Hendrik Würst und verlang Gerechtigkeit.
Wie kann man ihm helfen? Sicher nicht, indem man die Ungehorsamen peinigt. Das wäre nur eine schale Genugtuung, Die Aufgabe bleibt bei ihm selbst, sein wahres Ich zu suchen und wieder zum Leben zu erwecken und nicht durch die Angepasstheit die Auseinandersetzung mit sich selbst zu meiden und stattdessen die Lösung im Außen zu suchen.
Die Versöhnung mit dem Tod.
Laut Statistik entspricht das durchschnittliche Alter eines Corona-Toten ungefähr seiner Lebenserwartung – ca. 78-82 Jahre, je nach Quelle. Es gehen also Menschen, deren Zeit ohnehin gekommen war. Im dritten Winter der Pandemie frage ich mich, was mit uns eigentlich los ist?
Als Psychotherapeutin erlebe ich das Phänomen, dass das, was der Patient erzählt oft nur etwas Vordergründiges ist, es ist nicht das Gleiche, was auf der seelischen Ebene geschieht. Der Hund ist meist ganz wo anders begraben, aber es ist uns nicht bewusst. Ein wesentlicher Teil der Psychotherapie besteht gerade darin, sich dessen bewusst zu werden, indem man Projektionen und Verdrängung überwindet.
Was geschieht also mit uns seelisch in der Pandemie? Ich glaube, es ist die Angst vor dem Tod, die uns in den Wahnsinn treibt. Der Tod wird durch den Medien-Verstärker nahezu omnipräsent. Wir lesen jeden Tag die Totenstatistik. Unter Pandemie sterben die Alten anders: Früher starben sie unbemerkt an der Grippe, bei sich zu Hause; jetzt – auf der Intensivstation unter dem Beatmungsgerät, ja fast schon im Rampenlicht.
Unsere Endlichkeit wird uns vor Augen geführt und wird bewusster denn je. Ganz insgeheim leben wir tagtäglich im Glauben unsterblich zu sein. Wer beschäftigt sich schon gerne mit dem eigenen Tod? Wer überlegt sich, wie und wann es wohl passiert, was danach kommt und wie es hier auf der Erde ohne uns weitergeht? Der Tod ist stark verdrängt und unter tausend Schlössern weggesperrt. Und nun in der Pandemie ist die ganze Verdrängungsarbeit hinfällig.
Daher ist es nicht verwunderlich, dass wir uns an jedes Stroh festzuhalten versuchen, der uns vermeintliche Sicherheit verspricht oder Sündenböcke suchen, an denen wir unsere Angst und Frust abladen können. Doch es hilft alles nichts. Wir können die eigene Sterblichkeit nicht länger ignorieren. Sie ist vielleicht der einzig sichere Fakt momentan, aber auch eine Einladung, unser Leben grundsätzlich zu überdenken.
Es lebt sich anders, wenn man weißt, dass unsere Zeit begrenzt ist. Das berichten viele todkranke Menschen mit sicherer Diagnose und begrenzter Zeitperspektive. Was würdest du machen, wenn du wüsstest, dass heute dein letzter Tag wäre? Wir erlauben uns dann endlich zu uns selbst zu finden, unseren innigsten Wünschen nachzugehen, unsere Träume zu verwirklichen und unsere Seele aus dem Käfig der Verpflichtungen zu befreien.
Und das sollten wir jetzt dringen tun! Dann wird unsere Endlichkeit gar kein Problem mehr, denn wir haben aus voller Brust und mit offenem Herzen gelebt. Dann ist der Tod nicht das schreckliche Ende, sondern nur ein Übergang, wohin auch immer. Unsere Seele wird uns fröhlich dorthin begleiten, wenn wir sie lassen.
Nach Hause kommen. Oder warum wir uns an Weihnachten so oft streiten.
Diesen Beitrag habe ich vor vier Jahren geschrieben. Ich denke, er ist aktuell, wie jedes Jahr um diese Zeit.
Wenn es draußen kalt und dunkel ist, sehnen wir uns nach der Wärme und Geborgenheit eines Familiennestes. Wann, wenn nicht an Weihnachten möchten wir ein Teil einer glücklichen Familie sein? Viele getrennte Eltern rufen „Waffenruhe“ auf und vereinen sich für die Feiertage, um den Kindern wenigstens für ein Paar Tage die intakten Familienverhältnisse vorzuleben. Und wer am Heiligabend alleine ist, dann weiß er spätestens dann, dass er keine richtige Familie hat, oder?
Mein Platz in der Familie
Erwachsene Kinder fahren zu ihren Herkunftsfamilien hin, um sich einmal im Jahr als eine Gemeinschaft zu spüren: Das sind wir, wir sind eine Familie. Die Bilanz des Jahres wird gezogen, die Veränderungen realisiert, die Gewinner werden gefeiert und die Verlierer bemitleidet. So wird der eigene Platz und „Stellenwert“ in der Familie wieder bewusster. Und das birgt Konfliktpotenzial, denn in seltensten Fällen fühlen wir und geliebt und angenommen so, wie wir sind.
Die Enge und die Dichte dieser Tage lässt Themen auftauchen, denen wir in der restlichen Zeit schön aus dem Weg gehen konnten. Nun werden sie richtig präsent und machen dicke Luft. Doch die Hoffnung bleibt, dass sich die Gemüter durch das Kerzenlicht, Geschenke und gutes Essen besänftigen lassen. Man spielt das Spiel mit: Das Heiligabend-Spektakel wird wie auf der Theaterbühne aufgeführt. Die Erwartungen an Harmonie und Glück stapeln sich hoch wie ein Kartenhaus. Und wenn der Perfektionsdruck ins Unermessliche steigt, bricht das Kartenhaus in sich zusammen. Nun zeigt sich die Kehrseite der Familie – das Dunkele, das Unausgesprochene, das Verdrängte und das Hässliche. Spätestens am nächsten Tag fallen die Masken und die Kaskaden der Vorwürfe und Schuldzuweisungen überschlagen sich. Es wird so richtig hässlich.
Ein beliebtes Thema, das jetzt „aufgewärmt“ wird ist die Geschwisterrivalitäten, unfaire Elternpräferenzen oder die Machtverhältnisse in der Familie. Das geliebte und ungeliebte Kind streiten sich, Geschenke werden vergleichen, Liebe- und Treuebekenntnisse werden aufgewogen. Jedes Wort wird auf die Goldwaage gelegt. Versteckte Anerkennung oder Missbilligung werden aufgedeckt. Durch die Geschenke bekommt die Zuneigung einen monetären Wert. Aber nicht nur die Wertigkeit zählt, sondern das Kennen der Wünsche und Vorlieben.
Die Zeit der Umbrüche
Weihnachten ist die Zeit der Umbrüche und Veränderungen: Krankheitsausbrüche und Schübe finden pünktlich zu Weihnachten statt. Einige Paare trennen sich kurz davor um sich die unerträgliche Glücklichsein-Schauspielerei zu ersparen. Unternehmen entlassen ihre Mitarbeiter gerne am letzten Arbeitstag vor Weihnachten. So wissen diese nicht, wie es für sie im nächsten Jahr weiter geht und “feiern” mit der Ungewissheit.
Es ist symbolträchtig, dass das Familienfest schlechthin auf die dunkelste Zeit des Jahres fällt. So wird auch das Dunkle in jeder Familie belebt. Besonders, wenn es ansonsten stark unterdrückt wird. Doch wie dieses Fest nah der Wintersonnenwende liegt und die Tage von nun an wieder länger werden, so wenden wir uns auch bald wieder den hellen Seiten des Lebens, wenn wir dem Dunklen einmal Luft gemacht haben.
Am Heiligabend vormittags trifft man draußen oft auf Männer, die mit langen Gesichtern alleine spazieren gehen, um ihren Harmonie besessenen Ehefrauen zu entfliehen. Ich kann sie gut verstehen.
„I’m coming home for Christmas, if only in my dreams“ – spielt in meinem Kopf. Nur im Traum wird wohl meine Familie so sein, wie ich sie mir wünsche.
Warum unser Körper nichts fühlt?
Wie kann es sein, dass so ein massiver Eingriff in die Integrität des eigenen Körpers durch die drohende Impfpflicht von vielen als normal oder sogar berechtigt empfunden wird? Haben wir noch Gefühle in unserem Körper? Ist mit uns irgendwas nicht in Ordnung? Ich erkläre es mit der Trennung der Mutter und des Babys direkt nach der Geburt, die leider heute noch häufig passiert. Für die Generation der heutigen Erwachsenen war das die gängige Praxis. Wir sind fast alle durch diese Trennung gegangen.
Das frühe Trennen nach der Geburt, das Trennen der Mutter und des Neugeborenen ist wie ein Schnitt in die Seele, ein tiefer, schmerzhafter Schnitt, der nie verheilt.
Ein Neugeborenes, nach dem es neun Monate lang im Körper seiner Mutter gelebt hat, im permanenten Kontakt mir ihr, in permanenten Bewegung und Berührung, mit permanenten Versorgung und Wärme, in paradiesischer Nähe und Verbundenheit mit ihr, fühlt sich auch nach der Geburt noch wie ein Teil von ihr. Die Schwangerschaft soll für das Baby weiter gehen, nur außerhalb des Bauches mit der gleichen „Lebensqualität“ wie vorher. Warum soll es plötzlich anders sein? Doch wir moderne Menschen verschwenden unsere Zeit nicht mit unnötigem Liebkosen. Ab Tag 1 geht es nach den Regeln der Gesellschaft zu: nach der Uhr getaktet, streng, hart, gefühllos und isoliert. Das Baby wird weggetragen und sowohl die Mutter als auch das Kind erleiden Trauma. Um nicht zu leiden und um vor Schmerz nicht zu sterben, lernen wir schon früh unsere Gefühle einzufrieren. Wir fühlen unseren Körper nicht mehr, er wird anästhesiert, betäubt, eingefroren.
Die Trennung nach der Geburt ist so gegen die Natur des menschlichen Wesens, dass sie uns umpolt: von Liebe auf Angst, vom Urvertrauen auf Misstrauen, vom Kontakt auf Rückzug, vom Fühlen auf Gehorchen.
Das Tragische ist, wir erinnern uns nicht dran und glauben, dass so wie wir sind, normal sei. Doch jedes Baby, das neu auf die Welt kommt, verlangt immer das Gleiche: bei Mama sein, in ihrem Arm, an ihrer Brust, und erbrüllt es sich, wenn es sein muss. Bewahren wir wenigstens für die nächste Generation ihr intaktes Gefühlsvermögen und bleiben zusammen.
Lasst euch nicht trennen!
Pandemie der Konformität
Ich habe Sozialpsychologie studiert und schon im Studium vielen Phänomenen des menschlichen Gruppenverhaltens begegnet, die alles andere als rational schienen, sondern oft ungerecht, manchmal brutal oder sogar tödlich. Denken wir nur an die vielen Experimente der 70-er Jahre, die die menschlichen Abgründe zum Tageslicht trugen und die in die Lehrbücher eingingen. Einige wurden sogar verfilmt: Im Film „Experiment“ mit Moritz Bleibtreu z. B. wurden Menschen nach Zufallsprinzip in zwei Gruppen aufgeteilt: Häftlinge und Aufpasser. Diejenigen, die die Macht bekamen, über die anderen zu bestimmen, verhielten sich grausam und bestraften ihre Kommilitonen, als wären diese tatsächlich die schlimmsten Straftäter gewesen. Im anderen Experiment bekamen Probanden die Möglichkeit, andere Teilnehmer für kleine Fehler mit Stromschlag zu bestrafen und die Stromstärke selbst zu regulieren. Sie reizten diese Möglichkeit bis zur tödlichen Stromstärke aus. Wissenschaftler rätselten über die Motive, Beweggründe und über das „Bose“ im Menschen, das scheinbar immanent da ist, nur im Alltag sich kaum zeigt, aber oft dann, wenn es kritisch wird, im Stress oder bei Angst.
Ich will damit auf die heutige Situation hinaus. Ich bin mir sicher, dass die aktuelle Pandemie ebenfalls in die Geschichts- und Lehrbücher eingehen wird, nicht nur für die Mediziner, sondern auch für die Sozialpsychologen. Das Verhalten der Gesellschaft angesichts dieses Stresstests wird die Wissenschaftler noch lange beschäftigen. Wir erleben eine Pandemie der Konformität, Peinigung der Andersdenkenden, Sündenbock-Verhalten, Projektionen und Gegenprojektionen. Der gesunde Menschenverstand scheint ausgesetzt zu haben, es ist nicht möglich, sachlich miteinander zu sprechen ohne dass die Gemüte sich erhitzen.
Nicht das erste Mal in der Geschichte erleben wir die Spaltung, die Ausgrenzung des Andersartigen, die Lust, es von der Erdoberfläche verschwinden zu lassen. Leider ist unser Gedächtnis kurz und die Lernkurve flach.
Ich möchte noch ein Video mit euch teilen. Hier spricht eine Ethik-Professorin aus Kanada – einem behüteten Land, wo die Welt scheinbar noch in Ordnung ist. Doch auch dieses Bild trügt. Ihre Worte sind eindringlich.
Scheitern
Scheitern.
Dieses schreckliche Wort, der Weltuntergang, das Ende.
Kotzreiz, Schwindel, Apathie. Der Körper lahmt und krümmt sich wie bei Entzugserscheinungen.
Entzug! Genau das ist es. Wir hängen am Tropf des Erfolges: Ich will gewinnen, auf der Spitze sein, triumphieren, sodass alle mich mögen, bewundern, folgen, sharen, zitieren und liken.
Aber was ist, wenn ich Erfolg habe und niemand weiß davon? Wenn ich z. B. im Wald alleine überlebe, alleine ein Berg erklimme, ein Ziel erreiche und nur ich alleine es weißt, ist es dann Erfolg? Oder fehlt da was? Ja, es fehlt die Resonanz, der Klangkörper, die Bestätigung von außen. Erst wenn mein Gelingen schwingt und andere zum Schwingen bringt, kommt der ersehnte Effekt. Ich brauche also die Anderen für meinen Erfolgserlebnis.
Wie auf einer Wolke schwebend von der unsichtbaren Kraft getragen fühlt sich die imaginäre Schar der Fans. Ich bin nicht alleine. Ich werde getragen wie ein Rockstar beim stagediving, wie ein Baby auf dem Arm der Mutter in den Schlaf gewogen.
Und ohne sie? Dann stehe ich alleine auf dem Boden der Tatsachen. Es ist hart, kalt, leer und einsam.
Scheitern.
Looser, Versager, Verstoßener. Du bist nichts wert, Staub, Dreck, ein blinder Fleck, weißes Rauschen. Ich verschwinde in diesem weißen Rauschen, löse mich auf, bin unsichtbar, in der gesichtslosen Masse ein Nichts.
Gescheitert, verloren, nicht recht behalten, das Ziel verfehlt, übertrumpft, abgehängt, schwach, dumm, unfähig.
Kann doch jeder scheitern, sagt ihr? Wirklich jeder?
Aber ein Kind, das spielt, forscht, entdeckt, hüpft, im Dreck matscht, im Wasser plantscht, mit Fingerfarben malt, kann nicht scheitern, oder? Dem Kind (das noch nicht eingeschult ist) ist das Resultat egal. Es hat keine Benchmark zu erreichen, keine Latte zu überspringen, keine Rivalen, keinen Vergleich und kein Ziel, außer das zu tun, was es gerade tut, im Moment sein, bei sich sein, bei der Sache sein.
Ich möchte mich aus den Fesseln befreien und zurückgehen dorthin in dieses Land, wo es kein Scheitern gab, in diesen freien Zustand des Seins.
Kann ich diese Freiheit zurückgewinnen als Erwachsene und als Teil der Leistungsgesellschaft? Ich weiß es nicht, aber ich kann es von meinen Kindern abgucken, eine Weile beim Spielen zusehen und die Welt durch ihre Augen anschauen, mich hineinversetzen und mich wieder daran erinnern, wie es einmal war. Dann bin ich zumindest für diesen einen Moment (scheitern)frei.
Ausgeschlossen werden. Wie die Pandemie unsere Urängste belebt.
Wir Menschen sind so gemacht, dass es für uns keine „objektive“ Realität gibt, sondern eine einzige Projektionsfläche. Wir projizieren unsere Wünsche, Ängste, Widerstände auf das, was uns widerfährt. Wir erleben praktisch nur das, was in uns selbst drin steckt, unbewusst natürlich, mit der Illusion der “objektiven” Realität.
Und so ist eine Pandemie längst keine Pandemie mehr, sondern eine Religion, in der es Gläubige gibt und Leugner. Eine Impfung ist keine Medizin, sondern eine heilige Kommunion, mit der wir uns bekennen und bekehren lassen. Eine Impfkampagne dient nicht unserem Schutz (wozu sollen sich dann die Genesenen und die Kinder impfen lassen?), sondern sie ist ein Kreuzzug gegen den sich quer stellenden, nicht einlenken wollenden Teil der Bevölkerung. Gleichzeitig will man diejenigen schnell in die eigenen Reihen ziehen, die noch nicht kritisch genug sind – Kinder.
Dass die vorgeschriebenen Tests ab dieser Woche eine Menge Geld kosten, hat wohl die Absicht, den „Trotzkindern“ wehzutun, sie weiter auszuschließen, damit sie aus dem Weltbild am liebsten ganz verschwinden. Es ist unerträglich zu sehen, wie jemand so sehr für seinen Willen kämpft. Wir kennen es alle aus der Kindheit: „Du darfst dein Zimmer erst wieder verlassen, wenn du nicht mehr schreist/ nicht mehr weinst/ nicht zickst und das tust, was von dir verlangt wird.“ „Ich bin wieder lieb Mama,“- sagten wir dann reumütig und entschuldigten uns für etwas, was wir nicht einmal verstanden hatten. Zurückgeblieben sind die gebrochene Seele, eingefrorenen Gefühle, heruntergeschluckte Wut, lähmende Ungerechtigkeit, Scham und Schuldgefühl.
Das Perfide ist, dass dem Kind suggeriert wird, dass es sich selbst in diese Situation gebracht hat. Es wüsste ja, wie es sich zu verhalten hat – lieb, brav, stets gut gelaunt und konform. Es wird ihm eine „Freiheit“ suggeriert, die in Wirklichkeit eine Erpressung ist. Um Liebesentzug und Ausgrenzung zu vermeiden, muss das Kind seine Gefühle ausblenden, sie einfrieren, sich von ihnen distanzieren und auf sein wahres authentisches Ich verzichten. Es wird zur Marionette und verleumdet sich selbst. Das Gleiche passiert heute auf der kollektiven Ebene: Die Ungeimpften haben ja die „Freiheit“ zu entscheiden: hohe Kosten für die Tests oder ein kostenloser Piecks. Na, wie frei fühlt man sich bei diesem “Deal”?
Alles ist nur eine Projektionsfläche, auch diese Pandemie. Darin offenbaren sich unsere Ängste nicht vor dem Virus, sondern vor der Einsamkeit, vor ausgeschlossen werden, vor Liebesentzug und einsamem Zimmer, in dem wir solange alleinbleiben müssen, bis wir uns fügen. Solange das Trauma unbewusst bleibt, wird es sich immer und immer wieder wiederholen, bis es ins Bewusstsein dringt. Die Pandemie könnte uns beim Bewussteren alter Verletzungen weiterbringt, doch es sieht für mich nicht danach aus, als würden wir als Gesellschaft die Chance ergreifen.
Inga Erchova ist Dipl.-Psychologin, Heilpraktikerin für Psychotherapie, Autorin und dreifache Mutter. Erfahre mehr über sie und ihre Arbeitsweise…
Mein Buch
Psychotherapie am Telefon oder über Skype
Nicht immer müssen wir mit dem Therapeuten im gleichen Raum sein. Das Telefon bietet den Vorteil, dass man in vertrauter Umgebung eigener vier Wände bleibt und sich dadurch besser öffnen kann. Bei einer Sitzung über Skype vergisst man oft die räumliche Distanz und einige Zeitzonen Zeitunterschied.
© 2022 Inga Erchova Kontakt · Impressum · Datenschutz