von inga | Aug 17, 2018 | Allgemein, Persönliches Wachstum, Schatten
Wenn du an die Einsamkeit denkst, was kommt dir zuerst in den Sinn? Welches Gefühl verbindest du mit der Einsamkeit?
Diesen Sommer durfte ich gleich zwei Mal jeweils eine Woche lang die Einsamkeit erleben.
Als alleinerziehende Mutter mit drei Kindern bin ich selten allein. Die knappen Stunden alleine, während die Kinder in der Schule oder im Kindergarten sind, sind schnell gefüllt mit Arbeit, Besorgungen und Haushalt. In den Ferien fällt die kostbare Zeit alleine ganz weg. Ich merke, dass es mir in der Ferienzeit schwerer fällt, mich um die Kinder zu kümmern. Die Kraft, ihnen Zuwendung zu schenken, schwindet, das Nervenkostüm wird dünner und die Geduld umso knapper. Die Zeit alleine gibt mir also die Möglichkeit, wieder zu mir zu finden und Kraft zu tanken. Doch nicht immer erleben wir es so.
Als ich noch vor einem Jahr unerwartet eine Woche lang Zeit für mich „geschenkt“ bekam, während meine Kinder mit ihrem Papa kurzfristig in Urlaub gefahren sind, fiel ich wie in ein Loch. Die absolute Stille im Haus war unerträglich. Ich suchte mir schnell einen Sprachkurs, der mich fünf Stunden am Tag eine Woche lang beschäftigt hielt. So kam ich über die Zeit hinweg.
Diesen Sommer fühlt sich für mich die Zeit alleine wie ein Geschenk. Die erste Woche bin ich zuhause geblieben. Ich genoss die Ruhe, die Stille, das Faulenzen, das Nichtstun und niemanden bedienen zu müssen. Ich spielte ausgiebig Klavier, pflückte Kirschen im Garten direkt in den Mund, bis ich satt war oder fuhr mit dem Fahrrad bis nach Dänemark. Ich ging zum Strand, legte mich hin und schloss die Augen – was für ein Luxus, auf niemanden aufpassen zu müssen! Ich las bis tief in die Nacht, schlief mit offener Balkontür, wurde von Möwen in den Schlaf gesungen und morgens wieder aufgeweckt. Ich frühstückte ausgiebig lang und ging abends Tangotanzen.
In der zweiten Woche entschloss ich mich zum Tapetenwechsel und fuhr nach Berlin. Hier traf ich Laura – Tango-Lehrerin, die ich vor einiger Zeit beim Festival kennenlernte und die mich sehr bewegte. Zu ihr spürte ich sofort eine tiefe Verbindung. Ich lernte mit ihr Tanzen und am Abend gingen wir zusammen zu Berliner Milongas (Tangotanzabende).
Obwohl ich aus meiner früheren Zeit in Berlin noch viele Leute kenne, beschloss ich mich bewusst, niemanden anzurufen. Nur die Zeit mit meiner Lehrerin sollte im Mittelpunkt stehen, ihre Stimme und Worte sollten in mir ihre Nachwirkung entfalten.
In der übrigen Zeit genoss ich die Einsamkeit. Der Lärm der Großstadt stand im Kontrast zu der Stille in mir. Ich fühlte mich wie im Auge des Wirbelsturms, wo alles wie in der Zeitlupe stehen bleibt. Ich habe nur wenige Worte am Tag gesprochen, und das entspannte mich.
Wenn man alleine ist, fehlt die Erinnerung von außen daran, wer man eigentlich ist, oder? Wenn meine Kinder zum Beispiel um mich herum sind und ständig etwas von mir verlangen, dann erinnern sie mich konstant daran, dass ich Mutter bin und dies oder jedes zu tun habe. Wenn sie nicht da sind, „vergesse“ ich es fast. Ich liege im Park auf dem Rasen mit geschlossenen Augen, lasse die Sonnenstrahlen meine Haut erwärmen, tauche in die Geräuschkulisse hinein, nicke wie im Sekundenschlaf weg und vergesse für einen Moment, wo ich eigentlich bin, und wer ich bin. Ich musste mich einen Moment sammeln, um mich wieder daran zu erinnern, verrückt.
Wenn die Referenz von außen fehlt, kommt unser Innenleben umso mehr zum Ausdruck. Die Einsamkeit lässt das Innere in uns aufsteigen: die Nöte und die Sorgen, das Nicht-Abgeschlossene, das Unfertige, das Suchende und das Wollende. Man kann hineinlauschen, oder davon rennen, je nachdem, wie wir uns gerade fühlen. Die Zeit alleine kann als belastend oder entspannend empfunden werden, doch sie hilft immer der Seelenhygiene und ist ein guter Indikator unserer aktuellen seelischen Verfassung.
Was ist die Einsamkeit für dich im Moment?
Ländlicher Fahrradweg
Mit dem Leihfahrrad durch Berlin
Die späte Milonga
Mit Laura <3
von inga | Feb 5, 2018 | Allgemein, Geburt, Persönliches Wachstum
Stadtstrand – ein Ort zum Auftanken
Angekommen für ein Wochenende. Der süßliche Geruch der Stadt steigt mir in die Nase beim Aussteigen aus dem Bus am Plaza Catalunya am späten Abend. Der Geruch ist eine Mischung aus Abgasen des Stadtverkehrs und dem Duft der mediterranen Vegetation, Gestank der muffeliger Keller, Kaffee- und Essensgerüche aus Cafés und Restaurants durchdrungen von die Würze auf offener Straße gerauchter Joints.
Diese Stadt lebt auf der Straße. Sie ist ein buntes Taumeln: Taxifahrer warten auf ihre Gäste, Polizisten geben Anweisungen an Touristen, Passanten berühren sich in der Enge fast mit den Ellbogen. Auf der Straße wird gegessen, gehandelt, laut diskutiert, gelacht oder geschimpft. Hier verbringt man viele Stunden am Tag. (Im Vergleich, geht man in Norddeutschland, wo ich gerade lebe, beim chronisch schlechten Wetter nur notgedrungen auf die Straße und kämpft seinen Weg durch den Regen und stürmischen Windböen.)
Barrio Gotico
Barcelona ist sehr dicht und intensiv, wie ein Cortado. Gequetscht zwischen den Bergen auf der einen Seite und dem Meer auf der anderen hat sie keinen Patz, um in die Breite wachsen zu können, also wächst sie in die Dichte und erstickt fast schon an eigener Intensität. Der Blick in die Nachbarsfenster ist so direkt und unverschont, dass ein Gefühl entsteht als lebe man in einer Wohngemeinschaft mit allen Bewohnern der Stadt. Es ist ein Dorf und doch ein Jungle aus Stein, Stahl und Glas, wenn auch recht filigraner und romantisch wirkender Jungle durch die vielen Türmchen und verschnörkelte Architektur.
Mit dieser Stadt verbindet mich mit Sicherheit die zentrale Erfahrung meines Lebens – meine Geburt als Mutter, daher rüttelt der Besuch dieser Stadt viele Gefühle wach und rührt mich tief. Hier trug ich zum ersten Mal stolz meinen Babybauch, durchlebte die erste Geburt, machte erste unsichere Schritte des Mutterseins; besuchte die ersten Spielplätze, die ersten Kinderärzte, Krabbelgruppen und Müttertreffs. Es gibt fast keine Straße in der Stadt, die ich mit dem Kinderwagen nicht durchlaufen bin. Die Straßennamen klingen bekannt und nostalgisch. Und doch ist die Zeit weit weg, und ich bin jetzt viele Erfahrungen weiter.
Barcelona hat ein großes Herz. Bei meinem ersten Besuch der Krabbelgruppe im Hospital de Sant Pau, wo meine Tochter geboren war, schaute mich die leitende Hebamme Nuria liebevoll in die Augen und fragte: „Na, wie geht es dir?“ Sie war tatsächlich die erste Person, die mich mit meiner damals 6 Wochen alten Tochter nach meiner Befindlichkeit fragte. Überwältigt von der Tatsache, dass sich jemand für mich interessiert, fing ich an zu weinen und prompt meldeten sich viele Mütter und boten mir ihre Hilfe an. Es war so rührend und stärkend, dass die Welt für mich von da an völlig anders aussah.
Ich vor dem Hospital de Sant Pau im März 2007
Diese fremde unbekannte Stadt war für mich mein Dorf zum Kindergroßziehen. Die geselligen Omas im Bus lobten laut wie wohlernährt mein Baby war, sowie meine „Engelsgeduld“ im Umgang mir ihr. Unbekannte Frauen am Strand wiesen mich unaufdringlich und liebevoll auf die Gefahren des Sonne hin und boten die Sonnencreme an, Eltern auf den Spielplätzen teilten großzügig ihr Spielzeug mit meiner Tochter. Jeder Mensch, ob Verkäufer, Apotheker, Kinderarztgehilfin, einfache Passanten schienen ein offenes Auge und ein liebes Wort für mich und mein Baby übrig zu haben. Ich fühlte mich umgeben von Liebe, Aufmerksamkeit und menschlicher Wärme. Die Sonne und das Meer berauschten mich täglich und schenkten Energie.
Heute als dreifache Mama mit größerem Erfahrungsschatz besuche ich die Wiege meiner Mutterseele mit Nostalgie und Freude, dass ich den Draht zu ihr nicht verloren habe. Hier leben immer noch gute Freunde und meine Lehrerin Laura Gutman aus Argentinien führt regelmäßig Weiterbildungen in Familientherapie durch, die ich gerne besuche.
Am letzten Abend vor der Abreise ging es zum Abschied noch zu einer Milonga, um mich von den wehmütigen Tangotönen wegtragen zu lassen. Tango ist eine neue Liebe, die ich nun aus Deutschland mitgebracht habe. Das Leben geht weiter und wir auch.
Ich habe mich bei dieser Stadt nie wirklich bedankt, nun möchte ich es tun. Danke, liebe Barcelona, für deinen Charme und dein Charisma, dein großes Herz und die süße romantische Note. Danke, dass du trotz des Platzmangels eine Zuflucht für viele gestrandeten Seelen bietest. Danke, dass du mich so liebevoll aufgenommen hast und dass du immer noch ein Teil von mir bist. Gracias guapa, te quiero mucho.
von inga | Jan 10, 2018 | Allgemein, Erziehung, Familie, Mutter-Kind-Beziehung, Persönliches Wachstum
Es braucht ein Dorf
um ein Kind großzuziehen – sagt man doch so. Man glaubt es kaum, aber ein Kind braucht tatsächlich viele Menschen zum Aufwachsen – wie ein Sicherheitsnetz für die junge Familie, damit sie ihrem Kind genug Liebe geben, genug Nervenstärke bewahren, genug Zeit mit ihm verbringen oder ein gemütliches Zuhause herrichten. Da braucht es schon mal viele Hände. Und so war es früher: Die Großeltern und die Tanten, die Freunde und Bekannte, alle lebten nah beisammen in einer Gemeinschaft und leisteten sich gegenseitig Unterstützung. Die jungen Frauen wurden von den Erfahrenen in die Geheimnisse des Frauseins eingeweiht und auf der Reise der Mutterschaft begleitet. Niemand war alleine. Wir Menschen sind soziale Wesen und fürs Alleinsein nicht geschaffen.
Allein mit dem Kind
Heute sieht das Leben anders aus. Im besten Fall ist es eine mini Familie aus Mutter, Vater und Kind. Eine Oma, die einmal pro Woche vorbeikommt, ist bereits ein Privileg. Doch zu oft ist es nur die Mutter ganz alleine, die ihre Kinder versorgt und null Unterstützung im Alltag erfährt. Wir vereinsamen in Großstädten weit weg von unseren Herkunftsfamilien. Das Verhältnis ist aber ohnehin schon so gestört, dass man sich lieber nicht ins eigene Familienleben einmischen lassen möchte. Der Alltag mit Kindern gefüllt von Einsamkeit zerrt an den Nerven. So kann die Mutter nicht ein warmer und weicher Zufluchtsort für ihre Kinder sein, am Limit ihrer Kraft mutiert sie zur chronisch genervten Furie. Wer viel gibt, muss emotional gut gepolstert sein, denn aus dem Leeren kann man nichts geben.
Das digitale Dorf
Vor dieser armseligen Wirklichkeit kommt uns das neue digitale Zeitalter ja fast wie ein Segen vor. Es schafft Menschenverbindungen und füllt uns mit Informationen. Man ist mit dem guten Rat und herzlichem Trost für einander da. Mütter bekommen Tipps für die Alltagsbewältigung. Man findet Verbündete und Gleichgesinnte. Es gibt Foren und Magazine, Interessen-Gruppen, Erklär-Videos, kreative Ideen und grenzenlose Inspiration. Man stellt auch sich selbst gern ins Rampenlicht und präsentiert das eigene Leben von der besten Seite. Es ist sehen und gesehen werden. Nun ist man nicht mehr allein?
Die kritischen Stimmen
Es ist alles so schön bunt hier, in der digitalen Welt, doch es werden Stimmen lauter, die uns das Vergnügen nehmen wollen mit dem Vorwurf, durch die übermäßige Mediennutzung die Beziehungen im realen Leben zu vernachlässigen. Das Smartphone wird zum Hassobjekt erklärt, die gesenkte Kopfhaltung – zum Sinnbild der Verblödung und die Unfälle beim Handynutzen zur Zielscheibe für Spott. Wie die Parallelwelt neben der Digitalen fristet dabei das reale Leben sein ärmliches Dasein.
Doch sind die digitalen Medien wirklich schuld an unseren missglückten Beziehungen, fehlenden Gesprächen und seelischer Leere?
Zugegeben, das Netz hat Suchtpotential. Es ist schon schlau eingefädelt von Twitter und Co. wie sie ihre Nutzer bei Laune halten. Wir unterhalten uns ja nicht nur, wie sammeln Herzchen, Retweets, Follower, Kommentare, batteln uns gegenseitig an, bekommen Bestätigung und wollen immer mehr davon.
Schaft Vernetzung auch Verbindung?
Neue Medien sind natürlich nur der Sündenbock, auf den wir die Last abschieben. Wir verschweigen und verleugnen uns etwas viel Wichtigeres – unsere Unfähigkeit, eine innige Beziehung mit anderen Menschen einzugehen. Auch unseren Kindern weichen wir lieber aus und da kommen die smarten Geräte ja gerade recht. Es ist zu bequem, die Kids mit dem iPad alleine zu lassen und ein wenig Ruhe zu genießen. Wir sind schließlich zu erschöpft, um uns mit den Kleinen zu beschäftigen, auch wenn wir wollten. Im Alltag sind wir ja immer noch alleine.
Das Netz leistet uns zwar große Abhilfe, dem richtigen Problem – unserer Vereinsamung – hilft es aber nicht. Es schenkt uns Herzchen, erwärmt aber nicht unser Herz, gibt Ideen fürs Leben mit Kindern, beschert aber keine quality time mit ihnen, gibt uns Follower, schafft uns aber keine echten Freundschaften, berieselt uns mit Unterhaltung und lässt uns ins Bodenlose fallen, wenn diese „Haltung“ weg ist.
Eine menschliche Verbindung, was ist das? Wir alle haben das Bedürfnis, gesehen, gehört und verstanden zu werden, Kinder noch tausendfach mehr als wir. Es ist jedoch anstrengend und ungewohnt, dem anderen Menschen gegenüber zu sitzen, durch die Augen bis in sein Herz zu schauen, erkennen, was er oder sie durchmacht, mitzufühlen und einen gehaltvollen Austausch stattfinden zu lassen. Wir haben es nicht gelernt und können es daher nicht bieten. Zu schade, denn durch eine menschliche Verbindung werden Gesichter nicht nur blau angeleuchtet, sie lässt diese richtig erstrahlen.
Na, noch schnell ein Paar passende Tipps googeln? 😉
Die Werbekampagne “The more you connect, the less you connect” zeigt, wie alleine und unsichtbar sich Menschen fühlen, wenn der andere geistig abwesend ist.
von inga | Nov 10, 2017 | Allgemein, Frauen, Geburt, Persönliches Wachstum
Wie wird man von Werberin zur Psychotherapeutin für Mütter? Viele Frauen ändern ihre Berufspräferenzen nach der Geburt ihres Kindes, nicht nur aus Vereinbarkeitsgründen.
Hier ist meine Geschichte, die auf der Seite Baby Express veröffentlich wurde.
Zum weiterlesen bitte auf PDF-Links klicken: BabyExpress1 BabyExpress2
oder auf der Seite Babyexpress.at lesen: http://www.babyexpress.at/familie/entwicklung-erziehung/4538-so-denken-und-fuehlen-muetter
Wie ging es euch mit Euren Berufen? (Für die Kommentarfunktion bitte auf den Beitragstitel klicken)
von admin | Jan 16, 2017 | Artikel, Mutter-Kind-Beziehung, Persönliches Wachstum, Schatten, Wochenbett
“Ich habe eine perfekte Mutter.” Warum die Illusion die Besserungschancen mindert.
„Ich habe eine tolle Mutter!“- höre ich nicht selten von Frauen, die mich bei Stimmungstief im Wochenbett aufsuchen. Sie schwärmen von ihrer Mutter und bezeichnen sie als beste Freundin, großes Vorbild oder Galionsfigur. Ich persönlich fasse diesen Lobgesang mit Latexhandschuhen und langer Pinzette an. Warum glaube ich ihnen kein Wort und warum haben diese Frauen aus meiner Erfahrung geringe Besserungschancen?
Ist es nicht ein Grund zu Freude, fragt der Leser, eine tolle Mutter und eine schöne Kindheit gehabt zu haben? Doch sicher, wenn es stimmt. Nur, wenn wir die Therapiesituation aus der Brille eines Detektiven betrachten, riechen wir sofort, dass etwas nicht zusammenpasst? Was passt nicht zusammen? Der Glaube an die perfekte Mutter passt nicht mit dem heutigen Zustand der jungen Mutter zusammen – ihrer Trauer, ihrer Überforderung bis hin zu Wochenbettdepression. Das Kind schreit, sie kann sich nicht um ihn kümmern, die Muttergefühle stellen sich nicht ein, sie will sich vom Kind lieber entfernen, seinen Nähe ist unerträglich, der Anblick seiner Bedürftigkeit tut weh, sein Verlangen nach Nähe und ihre Fähigkeit es zu bedienen klaffen extrem auseinander, das Stillen wird zur Tortur, das Kind schreit noch mehr, die Welt bricht zusammen und das Leben wird zum Alptraum.
Wenn wir uns im Wochenbett um den Nachwuchs nicht kümmern können, dann ist es ein sicheres Zeichen dafür, dass der Fluss der mütterlichen Energie unterbrochen ist. Wir können nur das geben, was wir selbst bekommen haben – so funktioniert nun mal der seelische Energiefluss. Wenn unsere Reserven an Liebe, Geduld, Zuwendung und Fürsorge leer sind, dann wurden sie nie gefüllt, soviel ist sicher. Doch solange wir es nicht realisieren, tappen wir im Dunklen.
Was ist der Ausweg aus diesem Alptraum? Der Ausweg ist eine Neubewertung der alten Beziehungsmuster und Vorbilder. Unsere Gefühle lügen nicht. Das Wochenbett ist der große Lügentest alter Glaubenssätze.
Doch diese Frauen sind für eine Neubewertung nicht bereit. Sie sind irritiert, gereizt und leisten großen Widerstand. Sie demonstrieren extreme Loyalität und nehmen ihre Mutter in Schutz. Sie sind nicht in der Lage, ihre Handlungen mit ein Wenig Abstand beurteilen zu können. Zu sagen, dass das positive Bild ihrer Mutter für sie wichtig ist, ist eine Untertreibung. Wie ein Wachhund greifen sie alles an, was dieses Bild noch so sanft zu hinterfragen droht.
Übertriebene Reaktionen sind in der Psychotherapie immer ein Zeichen für eine besondere persönliche Bedeutung, verborgene Konflikte, Schutzreaktion oder seelischen Brandherd. Was hängt also am positiven Bild der Mutter alles daran?
Als wir klein waren, war die Bindung zu unserer Mutter überlebenswichtig. Sie ist wie die psychologische Nabelschnur, die uns am Leben hält und ist stärker als Liebe oder Freundschaft. Neugeborene verstehen instinktiv, dass sie auf die Fürsorge eines Erwachsenen angewiesen sind. Sie begreifen, dass wenn es keinen Erwachsenen gibt, der sich um sie kümmert, haben sie keine Chancen in dieser Welt zu überleben. Sie kämpfen um diese Bindung mit aller Kraft. Wenn sie stundenlang schreien, dann ist es genau dieser Kampf um die Zuwendung der Mutter, dass sie endlich kommt und uns rettet. Und wenn die Mutter nicht kommt oder kommt nicht immer oder nur dann, wann sie Lust hat, dann ist die sichere Bindung (und daher das Leben) in Gefahr. Sie ist instabil und unbeständig. Man kann sich nicht auf sie verlassen. Man muss sich immer wieder vergewissern, dass die Bindung noch da ist. Daher „prüfen“ unsichere Kinder immer und immer wieder, ob die Mama jetzt noch kommt, um sich abermals zu vergewissern. Doch je öfter sie rufen, desto mehr ist die Mutter genervt. Eine infantile Mutter reagiert trotzig und geht auf die Forderungen des Kindes nicht ein. Es entsteht eine Abwärtsspirale: Das Kind verlangt immer öfter nach sicherer Bindung, die Mutter verweigert ihm diese und zwingt zur Selbständigkeit, das heißt sie lässt das Kind alleine. Diese Kinder behalten ein lebenslanges Gefühl, dass sie den unberechenbaren Kräften der Welt schutzlos ausgesetzt ist.
Wenn die sichere Bindung zur Mutter nicht möglich ist, dann konstruieren wir diese sichere Bindung nicht selten nur in unserer Vorstellung. Wir glauben fest daran, blenden die Realität aus, denn anders können wir nicht leben. Es entsteht eine Illusion als Überlebensstrategie.
Sind wir besser dran mit dieser Illusion? Ja vielleicht, solange wir keine eigenen Kinder bekommen. Doch „Die Lügen haben kurze Beine“ gilt auch hier. Die Illusion der guten Mutter reicht nur bis zum Zeitpunkt, an dem wir selbst Mütter werden. Dann bricht der gewohnte Lauf der Dinge zusammen.
Was ist die Lösung? Damit wir unsere Kind versorgen und lieben können, müssen wir leider auf die liebgewonnene Illusion verzichten, einen mentalen Re-set durchführen und sich eingestehen, dass wir doch weniger über sich wissen als bisher angenommen und von da an mit einem ehrlichen Blick eine neue Sichtweise auf sich selbst gewinnen.
Leidet dadurch nicht die Beziehung zur eigenen Mutter? Aus meiner Erfahrung wird sie dadurch nur besser – gelöster, ehrlicher, entspannter. Wir verstehen, dass unsere Mutter es nicht anders konnte, weil ihre Mutter es nicht anders konnte, etc. Aber wir können es anders und dann wird es unsere Tochter auch anders können. Was ist uns lieber: der Rockzipfel für das kleine Mädchen oder eine Beziehung auf der Augenhöre zwischen zwei erwachsenen Frauen? Sie entscheiden.
von inga | Jan 10, 2017 | Geburt, Persönliches Wachstum, Professionals, Professionelle Supervision
Professionelle Supervision für Hebammen
Wenn wir Zeugen werden, wie ein Kind geboren wird, werden alle Kinder präsent, die wir hatten, die wir nicht hatten, die wir zu uns gerufen haben oder die nicht zu uns gekommen sind. Wenn wir Zeugen werden, wie ein Kind geboren wird, erleben wir unsere eigene Geburt noch ein Mal. Die Geschichte unserer Geburt wird wieder wach: Waren wir gewünscht oder unerwünscht, waren wir ein “Geschenk oder ein „Unfall“? Wenn wir Zeugen werden, wie ein Kind auf diese Welt kommt, vernehmen wir ein wenig von dem Duft des Jenseits, von da, woher das Kind gerade kommt, wir verbinden uns mit dem Universum und mit dem inneren Kind in uns. All das geschieht, wenn wir dieses Wunder des Lebens erleben, ob es uns bewusst ist oder nicht. Es geschieht einfach und all das Ungelöste, noch Schmerzende und Verknotete wird präsent und wirkt bei unser Arbeit als Geburtsbegleiter mit, denn wir sind zu jedem Augenblick mit unserer kompletten Lebenserfahrung da.
Wir sprechen und handeln nicht nur aus unserem Kopf und nicht nur aus reinem Fachwissen heraus, sondern aus unserem ganzen Erfahrungsschatz. Und je bewusster, je reiner und je mehr im Frieden wir mit uns selbst sind, desto unbelasteter können wir Frauen auf dieser Reise ins Muttersein begleiten. Denn Konflikte und Missverständnisse kommen nicht zuletzt dadurch, dass jeder von den Beteiligten etwas Eigenes aufarbeitet und eigene Themen auf das Gegenüber projiziert.
Ich kann Ihnen helfen, das Geheimnis ihrer eigenen Geburt zu entschlüsseln, damit Sie unbelastet andere Frauen dabei begleiten können. Rufen Sie mich an und vereinbaren Sie einen Termin.
Für alle anderen heilenden Berufe gilt genau das Gleiche: Um Projektionen zu vermeiden, müssen wir zunächst mit uns selbst ins Reine kommen. Bitte lesen Sie dazu mein Artikel “Für Fachleute auf dem Gebiet der menschlichen Seele”.
Inga Erchova ist Dipl.-Psychologin, Heilpraktikerin für Psychotherapie, Autorin und dreifache Mutter. Erfahre mehr über sie und ihre Arbeitsweise…