Heute schreibe ich über die Person der Stunde – die Person, die im Jahr der Pandemie verstärkt ins Rampenlicht geraten ist – über Bill Gates bzw. über ihn und seinen Vater, der ebenfalls Bill Gates heißt, wusstet ihr das? Der Letzte ist vor Kurzem im Alter von 94 Jahren gestorben, und zum Anlass seines Ablebens erschien bei Spiegel ein Artikel und ein Foto vom Vater und dem Sohn. Das Foto weckte mein Interesse und lenkte meine Aufmerksamkeit zum ersten Mal auf das Verhältnis zwischen den beiden. Wie war die Beziehung zwischen ihnen? Was treibt diese Menschen an? Hat die Persönlichkeit des Sohns und seine Welt umspannenden Ambitionen etwas mit seinem Vater zu tun? Selbstverständlich müssen sie das. Und so machte ich mich auf die Suche mit vielen Fragen im Kopf.

Leider fand ich nur floskelhafte, zurecht gekämmte, nichts sagende Passagen und Parolen über die Weltverbesserung, selbstloses soziales Engagement und Ähnliches. Ich weiß sehr wohl, dass das, was wir öffentlich als unsere Motivation anpreisen, nie der Wahrheit entspricht, auch wenn die Person es selber sogar glaubt. Die wahren Beweggründe unseres Verhaltens sind immer die anderen: Sie rühren aus der Kindheit, wenn wir um die Liebe unserer Eltern gerungen haben, mit ihnen mitlitten, wenn wir ihnen das Leiden abnehmen wollten oder uns um sie gekümmert hatten, als wären wir die Erwachsenen, verzichtend dabei auf unsere Unbeschwertheit. Jeder hat da seine ganz persönliche Geschichte und ganz persönliche Wahrheit. Das, was uns heute antreibt, liegt nicht im Heute, sondern im Damals, und dieses „Damals“ von Bill Gates hat mich interessiert. Und diese persönliche Wahrheit war im Netz nicht zu finden. Ich konnte sie nur mit dem Auge eines Detektives durch das Erscheinungsbild oder Körpersprache der beiden aufspüren.

„Das Geheimnis der Welt liegt im Sichtbaren, nicht im Unsichtbaren“, – sagte einmal Oscar Wilde. Wir können uns somit nicht verstecken und sind für alle sichtbar. Mann muss dieses Sichtbare bloß lesen können.

Das erste Foto mit den Beiden im Spiegel erzählte bereits Bänder. Es war dieses hier. (das Foto musste aus urheberrechtlichen Gründen entfernt werden. Bitte googeln Sie selbst auf Spiegel online.)

Ein Patriarch und ein Spund. Selbst in seinem fortgeschrittenen Alter wirkt der Sohn wie ein kleiner Junge, leicht geduckt, als müsste er sich unter Beweis stellen. Und der Vater schaut gnadenvoll und anerkennend auf seinen Sprössling herunter. Was das erste Foto jedoch kaschiert, verraten andere – es ist der gewaltige Größenunterschied zwischen ihnen. Auch im Alter von 94 Jahren wirkt der Vater wie ein Riese (er muss inzwischen ca. 5 cm geschrumpft gewesen sein) und ist fast einen ganzen Kopf größer als sein erwachsener Sohn. Wie muss dieser im wahrsten Sinne des Wortes übergroße Vater auf den jungen Sohn gewirkt haben? Er muss auch im Erwachsenen Alter zu ihm hinaufschauen und kann nie auf die Augenhöhe mit ihm kommen.

Bezeichnend: Die beiden Herren heißen gleich: William (Bill) Gates. Um die beiden zu unterscheiden, fügt man Sr. oder Jr. hinzu. Doch auch das ist nicht wirklich korrekt. Der Vater heißt William Gates II und der Sohn – William Gates III. Eine Dynastie also, dessen Begründer William Gates I völlig unerwähnt bleibt. Selbst das allwissende Internet verrät über ihn nichts!

Und Gates Mutter? Recherchen ergeben eine Banker-Tochter, sehr engagiert in sozialen Projekten, die sie in führenden Positionen ehrgeizig vorangetrieben hat. Offenbar sehr beschäftigt. Über ihre mütterlichen Qualitäten lässt sich nichts erfahren. Ein Hinweis gibt uns jedoch die Diagnose Brustkrebs, an dem sie verstorben ist. Sie Symptomdeutung würde an dieser Stelle den Rahmen sprengen. Ich kann nur sagen, dass ich eine stärkere Verbindung zum Vater spüre als zur Mutter. Der Vater wirkt wahrlich wie ein Leuchtturm. So ist meine Empfindung.

Bill Gates Jr. Abschiedsrede zum verstorbenen Vater muss man deuten wie ein Arbeitszeugnis, in dem alles positiv formuliert werden muss. Wir nehmen uns diesen Auszug hier vor: „He always pushed me to try things I hated or didn’t think I could do (swimming and soccer, for example).“ Es zeichnet ein Bild des dominanten Vaters, der keine Rücksicht nimmt auf die sensible und weiche Natur seines Sohnes. Wahrscheinlich war der Junior in solchen zum Kampf auffordernden Situationen überfordert, buchstäblich ins kalte Wasser geworfen; vermutlich fühlte er sich wie ein Versager, der nie Erwartungen seines Vaters erfüllen kann. Diese zwei Fotos bebildern dieses Muster eindrucksvoll: Auf dem ersten Bild redet der Vater auf den Sohn von oben herab ein, der Sohn schaut nicht direkt zu ihm, sondern flüchtet mit dem Blick, weicht aus, sucht die Weite, scheut den Augenkontakt und direkte Konfrontation.

Auf dem zweiten Bild sehen Beide sichtlich bedrückt aus. Eine imaginäre Sprechblase würden hier sagen: „Sorry Dad, ich habe dich wieder enttäuscht.“

Das alte, kindliche Gefühl, nicht zu reichen, nicht genug zu sein, hört nie auf. Es ist mit einem exorbitanten Vermögen nicht zu erlöschen, mit dem Welt umspannenden Erfolg nicht ins Gegenteil zu führen. Es sitzt in den Knochen, tief unter der Haut, es ist im Fundament des ganzen emotionalen Gebäude vergraben und wirkt daraus wie eine permanente Gefahr. Das Haus steht nie stabil und sicher, sondern am Hang, im Erdrutschgebiet oder auf dem Erdplattenriss. Das Gefühl bereitet ungemeine seelischen Schmerzen und drängt nach Heilung.

Vom Adler haben wir das Prinzip der Überkompensierung gelernt – wenn aus einem gefühlten Defizit durch ungemeine Anstrengung und Mobilisierung aller vorhandenen Ressourcen eine fast schon Superkraft entstehen kann. „Die Welt ist nicht genug“ könnte man getrost als Gates Lebensmotto schreiben. Mit seinem Betriebssystem hat er bereit einmal die Welt erobert. Doch er will noch mehr – mit winzigen, genmanipulierten Organismen ganz unter die Haut der Menschen gelangen, ins Blut und bis hin zum Herz. Was für ein Wunsch! Will er so unbewusst zum Herzen seines Vaters durchdringen?

Der Sohn Bill Gates III, schrieb eins: „Wenn dich nächstes Mal jemand fragt, ob du der echte Bill Gates bist, sage ihm, dass du die Summe all der Dinge bist, die der andere sein wollte. (“The next time someone asks you if you’re the real Bill Gates, tell them you’re all the things the other one strives to be.” Gatesnotes.com)

Man kann aber nie jemand anderer werden als man selbst. Es ist Fata Morgana. Und dieser größte Schatz der Welt, sein eigenes Leben unter seinem eigenen Namen zu leben, blieb dem noch so mächtigen und reichem Menschen gestohlen.