(Regisseur Marvin Kren. Autorin der Rezension Inga Erchova)
Dieser Netflix-Vorschau hat mich sofort gefesselt: Freud! – eine Ikone, der Vater der Psychoanalyse, für mich als Psychotherapeutin mein geistiger Vater. Kein Wissenschaftler hat für so viel Aufsehen gesorgt, Spaltung der Geister produziert, wurde bewundert und belächelt, gefeiert und geschmäht, kontrovers diskutiert oder durch den Dreck gezogen wie er. Seine Entdeckung des Unbewussten schätze ich nicht keiner ein als die Entdeckung, dass die Erde rund ist: Etwas zu entdecken, was man nicht direkt sehen oder ertasten kann, was man nur in seiner Vorstellungskraft erahnen kann, so schafft man einen Sprung im Bewusstsein.
Meine Erwartung an die Serie war daher, dass sie die Denkrevolution Freuds eindrucksvoll in Szene setzt und die Figur des Pioniers wie ein Ölgemälde ausmalt. Aber was war Freuds Verdienst eigentlich genau?
Revolution, die Keiner wahrhaben will.
Manche Entdeckungen feiert die Menschheit und nutzt sofort für sich, und durch andere fühlt sie sich aus der Bahn geworfen und bedroht. Nicht verwunderlich, dass die Letzten auf mächtigen Widerstand stoßen.
Dass die Erde nicht der Nabel der Welt war, sondern nur eins von vielen Satelliten der Sonne, war eine Kränkung für die Menschheit, die Kränkung für das Ego und ein Riss durch das Selbstbildnis als die Krönung der Schöpfung.
Die Entdeckung des Unbewussten durch Freud war eine ähnliche Kränkung für die Menschheit und erneuter Angriff auf ihren Anspruch, der Nabel der Welt zu sein. Auch hier mussten wir uns die Schwäche eingestehen, dass das Gehirn nicht alles erklärt, dass wir nicht alles über uns wissen und dass wir nicht einmal die Herren im eigenen Zuhause sind. Auch das schmerzt und stößt auf massiven Widerstand. Doch er hielt Freud nicht auf.
Die Aufarbeitung in der Serie.
Zum Auftakt der Serie versetzt Freud mit seiner rebellischen Darstellung des Unbewussten die Wissenschaftswelt in Aufruhr: „Ich bin ein Haus, darin ist dunkel. Mein Bewusstsein ist eine schwache Kerze, die im Wind flackert, mal dahin, mal dorthin. Der Rest bleibt im Dunklen. Aber sie sind da: die Treppen, die Gänge, dunkle Zimmer, Geister, die darin wohnen. All das ist immer da und es lebt, es wirkt, es macht uns Angst.“
Damals suchte man nach Ursachen für Leiden jeglicher Art im Körper und Organen, und behandelte nur diese. Jenseits des Fassbaren zu schauen, war sprichwörtlich unfassbar. „So einen Schwachsinn will ich mir nicht länger anhören“, – klang aus den Reihen, – „Meint er das ernst?“ Vielleicht gerade diese Verleugnung des Seelischen jenseits der Materie hat zu der Zeit den fruchtbaren Boden bereitet für den Okkultismus und die dunkle Magie, verkörpert durch das ungarische Grafenpaar Sapare und ihre Ziehtochter Fleur. Nur Freud konnte einen Zugang zu ihnen finden und sie ihrer dunklen Macht entziehen. Irgendwo sprachen sie die gleiche Sprache.
Die Serie Freud ist keine Biografie und auch keine aufklärende Doku. Die Serie ist ein Geflecht aus Menschenschicksalen, Lebenswegen, die sich kreuzen und wieder auseinandergehen, von Menschen, die sich im dunklen Haus ihres Bewusstseins verirren und einen Ausweg suchen. Freud ist oft nur als stiller Beobachter im Hintergrund dabei, dessen Forschungsdrang ihn vor keiner gefährlichen Situation zurückschrecken lässt.
Das Haus als Metapher des Bewusstseins zieht wie ein roter Faden durch die Serie durch. Wir sehen viele Häuser, spärlich beleuchtet, mit Gängen und Treppen, von Geistern bewohnte Räume, wo man seinen eigenen Abgründen begegnet und gegen sich selbst kämpft. Dazu bietet das alte Wien die perfekte Kulisse.
Der Fokus der Serie liegt dennoch eindeutig auf der Unterhaltung und es werden dazu alle Register der Spannungsaufbau gezogen – Zweikämpfe, spritzendes Blut, Leichen und Labyrinthe. Die volle Klaviatur der Gruseleffekte wird angespielt inklusive des Ohrwurms einer Klaviermelodie, mit der im Kopf ich am nächsten Morgen aufwachte. (Diese Ohrwurm-Melodie hörte ich übrigens eines Abends plötzlich durch die Wand von nebenan, als meine Nachbarn die Serie ebenfalls geschaut hatten. Aber wie schaurig es doch war, denn dem Freud passierte das Gleiche – die Melodie kam aus dem Nebenraum zu ihm.)
Die Figur Freuds und der Hauptdarsteller.
Der Hauptdarsteller Robert Finster (der Nachname!) zeichnet ein sympathisches und glaubwürdiges Bild des jungen Freud – sensibel, getrieben und doch integer, tiefgründig mit fesselndem Blick. Sein Holzfäller-Bart wirkt fast schon zeitgemäß und für mich persönlich ein Hingucker ;-P Die vielen Gesichter Freuds werden mit unterschiedlichen Namen angesprochen: Für die Mutter ist er der große Sigismund, für Freunde und die Verlobte – der Siggi, der Vater und der Kumpel nennen ihn salopp Schlomo (fast ein Akronym für Schalom).
Obwohl man ihn mit Doktor Freud anspricht und so manche körperlichen Wunden behandeln lässt, so ist er kein Arzt, der Rezepte verschreibt. Mit Freud ist eine neue Art von Doktor geboren: Als Psychoanalytiker ist er ein Detektiv, Profiler, Forscher, furchtloser Kartograf des unbekannten Terrains. Er stemmt sich gegen gewaltigen Widerstand seitens der Kollegen, der Klinikleitung bis zu den kaiserlichen Generalen und dem Kaiser selbst. Nur einer steht bis zum Schluss zu ihm und bleibt eine Mischung aus Freund und Patient – der Polizeiinspektor Kiss. Er konnte die Freuds Denkweise am ehesten noch verstehen und sich zunutze machen. Ihr Handwerk ist ja auch ähnlich.
Freud wird noch ganz am Anfang seiner Karriere gezeigt und oft als Scharlatan abgetan. Doch „die Welt wird eine andere sein“, so prophezeit ihm seine Verlobte. „Deine Zeit wird kommen, Freud, so oder so“, sagt zu ihm der Inspektor Kiss, als Freud sein Buchmanuskript auf die Anordnung des Kaisers Zähne knirschend verbrennt. Es gab also Menschen, die an ihn glaubten.
Und, können wir aus heutiger Zeit bestätigen, dass es so gekommen ist, dass sich Freuds Denkweise in den Massen durchgesetzt hat? Nein, wohl eher nicht. Nur eine kleine Gruppe der Menschen lebt im Alltag mit diesem Weltbild. Das Establishment inklusive der Regierung, der Wirtschaft und der Medien geht immer vom „rationalen“ Menschenbild aus – der Mensch, der alles über sich weißt und mit dem freien Willen sein Leben steuern kann. Wir glauben immer noch, dass uns die messbare Materie die einzig glaubwürdige Sicherheit vermittelt, also mit anderen Worten, dass die Erde flach ist.
Wichtige Message zum schicksalhaften Zeitpunkt.
Die Serie Freud ist eine Einladung, uns die verdrängte Entdeckung erneut anzuschauen und uns die Macht des Unbewussten in uns zu vergegenwärtigen. Das Timing dazu konnte nicht besser gewesen sein – als die ganze Welt angesichts eines Symptoms den Atem anhält. „Pass auf, was du dir wünscht, es könnte in Erfüllung gehen“, – pflegen wir uns zu sagen. Hand aufs Herz, haben wir uns nicht schon immer mal eine Pause vom Hamsterrad gewünscht? Na, bitte schön!
Es ist überfällig, dass wir alles, was mit uns geschieht, nicht als Zufall betrachten, sondern als etwas, was zu uns gehört, ob wir es verstehen oder noch nicht. Symptome sind eben nur das, was sie sind – Symptome und nicht das Problem selbst. Sie sind ein Hinweis auf etwas, was wir noch nicht sehen, nicht realisieren, nicht verstehen, eine Einladung zum Forschen und Begreifen.
„Die Macht des Unbewussten bedeutet, dass wenn man sich etwas unbewusst wünscht, bekommt man es im Guten wie im Schlechten. Oder anders ausgedrückt: Was aus einem geworden ist, in Wirklichkeit sein tiefster Wunsch war.“
Freud lehrt uns zu akzeptieren, dass die Welt hinter dem Horizont weitergeht, auch wenn wir es nicht sehen können. Auch die Welt unserer eigenen Seele ist größer, dunkler und unbekannter, als wir nur erahnen mögen. Er lehrt uns zu akzeptieren, dass wir nicht alles messen oder anfassen können, dass es Kräfte gibt, die wir nicht mit einer Formel berechnen können, die aber deswegen nicht weniger real sind und nicht weniger mächtig.
Wir alle sind getrieben und zerrissen, kämpfen gegen uns selbst und stapfen im Dunklen. Doch wenn wir unsere Dämonen nicht länger bekämpfen, sondern diese als Teil von uns annehmen – als Energiequelle, als Kraft und Feuer – dann werden wir erst zu dem, was wir gemeint waren zu werden.
Erst dann ist die Therapie abgeschlossen. „Der Nächste, bitte.“